Meine Zeit an den Ernst Barlach Schulen

Begonnen hat alles im Jahr 2003. Das war schon etwas Besonderes, ich kam als Österreicher nach Deutschland, hatte natürlich Klischees im Kopf, die Deutschen hätten keinen Humor, seien pingelig, Arbeitstiere usw. Dies stellte sich jedoch rasch als Irrtum heraus.
Schon beim Einstufungstest (das österreichische Schulsystem ist anders aufgebaut als das deutsche) wurde ich positiv überrascht.
Zu diesem Zeitpunkt war ich es noch nicht gewohnt Schularbeiten mithilfe von Assistenten zu bewerkstelligen, an meiner alten Schule erledigte ich Aufgaben größtenteils selbstständig mit dem Computer. Nun ergab sich die erste Schwierigkeit darin, den Unterstützenden richtig anzuweisen wie er denn das Geodreieck in der Mathematikaufnahmeprüfung zu platzieren habe (in welchem Winkel etc.), aber auch in Deutsch war es für mich zu Beginn unglaublich schwer, Sätze auszuformulieren, ohne das bereits Geschriebene direkt vor mir auf einem Blatt Papier zusehen. Ganz zu schweigen von dem „Listening part“ bei Englischschulaufgaben oder Tests. Ich musste mich auf den Lückentext, oder Aufgabenstellung, sowie auf den Assistenten konzentrieren. Diese drei Faktoren miteinander zu vereinen war für mich fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Besonders hervorzuheben ist auch, so denke ich, das Integrationsprinzip, welches die Ernst Barlach Schulen verfolgen. Dass beeinträchtige und nichtbeeinträchtigte Menschen eine Klasse besuchen, kannte ich bis dato noch nicht. Somit ergibt sich keine Isolation, man ist als Behinderter nicht immer unter „seinesgleichen“, kommt in den Austausch auch mit anderen. Eine interessante Erfahrung, von der beide Seiten profitieren. Nichtbeeinträchtigte lernen eine vielleicht vorhandene Scheu abzubauen und Beeinträchtigte lernen ein neues Umfeld kennen.

Zuguterletzt will ich noch über Klassenfahrten in meiner „Pfennigzeit“ und die fachpraktische Ausbildung, welche einen Teil des 11. Schuljahres an der FOS ausmachte, berichten.

Die Schullandheime führten mich und meine Klassenkameraden nach Zwiesel, Caorle, sowie nach Berlin. Immer verbunden mit einem hohen Organisationsaufwand für das Assistententeam, als auch für den Lehrkörper. Im Vorfeld wurde genauestens der Pflegebedarf mithilfe von Fragebögen abgeklärt, um Abläufe so reibungslos wie nur möglich zu gestalten. Schüler und Assistenten kannten sich nur „vom Schulvormittag“, in diesem Falle mussten sie allerdings auch auf Bedürfnisse eingehen, die tagsüber so anfallen, nicht zu vergessen evtl. Nachteinsätze. Aber auch das „Überbrücken“ von Barrieren bei etwaigen Stadtbesichtigungen wurde gut gemeistert.
Auch für die LehrerInnen waren solche Unternehmungen mit enormem Arbeitsaufwand verbunden. So galt es einen geeigneten Ort zu wählen, ein geeignetes Busunternehmen zu finden, das sowohl genügend Platz für Schüler, Lehrer, Assistenten, sowie von manchen Schülern benötigte Hilfsmittel bot. Bei allen Ausflugszielen wurde stets auf „Rollstuhlzugänglichkeit“ geachtet. In Berlin zum Beispiel besuchten wir den Bundestag, „das Neue Museum“, machten eine Stadtrundfahrt u.v.m.
Am Abend, zu später Stunde wurde uns von den Assistenten meist lange „Ausgang gewährt“. Keine Selbstverständlichkeit, da dies mit „Überstunden“ für die Betreuer verbunden war.

Jedoch auch in der fachpraktischen Ausbildung stellten die Assistenten eine wichtige Stütze dar. Schon in der 9. Klasse der Realschule absolvierte ich ein Praktikum in einer Computerfirma. Ein Teil meiner dortigen Aufgaben lag darin, Dokumente zu verfassen oder zu bearbeiten, Botengänge zu absolvieren usw. Bei diversen Handgreiflichkeiten wie z.B. Ein-/Ausschalten des Computers, Halten des Telefonhörers, Einordnen und Sortieren von Dokumenten waren mir die Assistenten „stets zu Diensten“.
Auch später in der 11. FOS-Klasse begleiteten sie mich tatkräftig bei der fpA (fachpraktischen Ausbildung). Meinen ersten Praktikumsplatz bekam ich beim Jugendinformationszentrum München (JIZ). Eine Anlaufstelle, getragen vom Kreisjugendring, für Jugendliche, welche Rat, Hilfe und Information in Sachen Bildung, Familie, Rechtsberatung sowie Suchtberatung anbietet. Außerdem besitzt diese Einrichtung eine große Online-Datenbank mit Adressen, Telefonnummern, von Sozialeinrichtungen für alle Lebenslagen, welche Jugendliche betreffen. Schon an der Eingangstür stellte sich mir „ein Hindernis in den Weg“. Diese konnte nur mithilfe von zwei Metallschienen und eben einem Assistenten überwunden werden. Ich danke der oben genannten Praktikumsstelle für das entgegengebrachte Vertrauen und die gebotene Chance.
Für mich persönlich die interessanteste Praktikumsstelle war die „Vereinigung für Integrationsföderung“ (VIF). Diese beschäftigt sich hauptsächlich mit der Vermittlung von Assistenzpersonal für beeinträchtigte Menschen. Dienstplanerstellung, Neuanstellungen, Konfliktvermittlung zwischen Kunden und Assistenten sind die Hauptätigkeitsfelder dieses Vereins. Ich denke für mein späteres Leben welches ich selbstständig gestalten, konnte ich aus dieser Zeit viel mitnehmen.

Insgesamt verbrachte 7½ Jahre in dieser Institution und ich möchte diese auf keinen Fall missen. In der Pfennigparade wurde es mir ermöglicht meine Realschulzeit mit der „Mittleren Reife“ abzuschließen . Mit dem Fachabitur hat´s leider nicht ganz geklappt.

Herzlichen Dank allen Mitarbeitern der Ernst-Barlach-Schulen, der AWG Olympia, sowie den ärztlichen Angestellten und den Therapeuten der Pfennigparade München.

Johannes S.